| Wir wissen, was wir können – aber wer weiß es sonst noch?
Von den dornigen Marketingpfaden und den klugen Schleichwegen von Prof. Dr. Dr. h.c. Norbert Szyperski Gründer unterschätzen grundsätzlich den Marketingaufwand, der von Fachleuten meist höher als der entsprechende Entwicklungsaufwand eingeschätzt wird. Da hat man mit Not das Geld für die Einwicklung zusammen bekommen und es auch zweckgerecht ausgegeben. Das Produkt scheint soweit fertig, die Produktion ist angelaufen. Die ersten Exemplare, auf die man als Erfinder und Unternehmer so stolz ist und von denen man glaubt, daß alle Welt nur darauf wartet, sie im Markt vorzufinden, drohen Ladenhüter oder Investitionsruinen zu werden. Die eigene Begeisterung überträgt sich nicht so ohne weiteres auf die potenziellen Käufer. Die – so geht es dem jungen Unternehmer in Gedanken seine herbei gesehnten Abnehmer durch den Kopf – die brauchen doch meine neuen Produkte und Dienstleistungen so dringend, sie könnten doch geschwind den Umsatz und die Rendite erhöhen. Warum komme ich an sie nicht ran? Alle bisherigen Akquisitionsgespräche – mit oder ohne Empfehlung eingeleitet – blieben ohne Erfolg. So manch ein Einkäufer ließ sich Angebote erstellen und zuschicken, nutzte diese vielleicht auch, um seine bisherigen Lieferanten in neue Preis- und Qualitätsverhandlungen zu verfangen, aber bestellten bei dem neuen Unternehmen einfach nicht. Andere bestanden darauf, eine ausreichende Anzahl – wie viele auch immer – erstklassiger Referenzen von zufriedenen Kunden vorgelegt zu bekommen. Referenzen woher, wenn man gerade erst auf den Markt gekommen ist und den ersten Kunden zu gewinnen sucht? Also muß man die Werbetrommel rühren. Aber wie, wenn man kein Geld für große Werbefeldzüge hat? Wo kriegt so ein junger Unternehmer ausgerechnet Geld für ein trächtiges Werbebudget her? Von der Bank, von den schon „ausgenutzten“ Verwandten, von Venture Capitalists (VC`s) in einer weiteren Finanzrunde? Wohl nicht! Die klugen Berater sagen hinterher und viele natürlich auch schon vorher, das sei ein gravierender Geburtsfehler: Die Marketingaktivitäten müssen ebenfalls gleich zu Beginn der Firmenentwicklung stehen und bei der Erstellung des Geschäfts- und Finanzplanes auch in ihren Aufwendungen berücksichtig werden. Das klingt doch einleuchtend ... oder? Sicher ist diese Forderung methodisch richtig und konsequent zu verfolgen, wenn man auch auf die damit verbundenen notwendigen Finanzressourcen zurückgreifen kann. Können Gründer das immer? Man stellen sich nur vor, wie viele Millionen US-Dollar Bill Gates und seine Partner hätten an Marketingaufwand aufbringen müssen, um ihr junges Betriebssystem MS-Dos flächendeckend auf einen internationalen IT-Markt zu etablieren, der noch nicht einmal so recht an „Personal Computer“ (PC`s), wie man die kleinen Maschinen dann später nannte, glauben mochte. Welcher VC hätte in den späten 70iger Jahren des vorigen Jahrhunderts (so muß man ja heute die Zeit vor mehr als 25 Jahren beschreiben) die ausreichende Vision gehabt, dieses Marketingabenteuer zu finanzieren? Hätte es überhaupt gelingen können? Aber die IBM hatte sich auch so kleine Computer-Kisten angelacht, glaubte jedoch nicht so recht an deren Markterfolg. Warum daher eine eigene Entwicklung eines passenden Betriebssystems? Und wer glaubte denn überhaupt, daß man mit Software richtiges Geld verdienen könne? Also entschied man sich bei Blueship für ein Fremdprodukt und zwar das von Microsoft. Fortan machte die Weltmarkt-Macht IBM kräftige Marketingunterstützung für Microsoft. Das junge Unternehmen konnte gleichsam im Windschatten des großen Schrittmachers kräftig durchstarten und immer schnellere Geschwindigkeiten im organischen Wachstum erreichen. Die Japaner, Koreaner und Taiwanesen, ohnehin nicht so stark in der generellen Software-Entwicklung, schlossen sich irgendwie dem Vorgehen der IBM an und verhalfen so Microsoft zu einer grandiosen Marktposition – ohne allzu große frühe Marketinginvestitionen. Das änderte sich dann später sehr grundsätzlich, aber da waren die Marktanteile schon da und das nötige eigene Geld zur Finanzierung der Expansion auch. Und dies war kein Einzelfall: SAP von Deutschland aus seine Weltkarriere startend, nutzte auch IBM als Schrittmacher, so wie IDS-Scheer es mit SAP machte, um nur bei der IT-Branche zu bleiben. Was lernen wir daraus? Es kommt nicht immer nur auf das eigene Geld für Marketing- und Vertriebsaktivitäten an, sondern viel mehr auf das rechte Geschick der Gründer, die Strömungen der Zeit in den angestrebten Märkten zu erkennen und zu nutzen. Dafür muß Fantasie und viel Kreativität, aber wenig Kapital investiert werden. Da heißt es, von Vorbildern zu lernen, Analogien zu anderen Wirtschaftszweigen zu finden und mutig an Intermediäre heranzugehen. Da gibt es so viele Schleichwege zum Markterfolg, Die noch kleine Rexroth GmbH (später Mannesmann Rexroth, heute Bosch Rexroth) hat es immer wieder mit Erfolg geschafft, auf dem Hydrauliksektor mit starken Kunden Entwicklungsprojekte zu starten, die ganz wesentlich von denen finanziert wurden, mit der Zusicherung, daß dieser Kunde einen innovativen Vorsprung auf Zeit erhalten würde. Eingebettete Strategien (so auch Intel inside) verlangen erst dann nach großen eigenen Aufwendungen fürs Marketing, wenn die Position des Zulieferers sehr stark wird und der Endkunde dem eigenen Kunden ein Abspringen schwer machen soll. Und was ist erst alles an no-money-marketing in der Internetwelt möglich? Einer mailt es dem anderen, der es auch wieder weitergibt. Jeder ist ein Knoten im Vertriebsnetz und das Netz wächst und wächst! Die illegalen Video-Börsen am schnellsten. Die privaten Vertriebskaskaden haben ja auch schon im nicht-digitalen Netz ihre Vorbilder. Dort wo Kosmetika oder Küchengeräte von Frau zu Frau (und wohl auch schon mal mit einem eingeschalteten Mann) verkauft werden, da bilden sich mehrere Ebenen von Käufern heraus, die gleichzeitig wieder Verkäufer mit unterschiedlich viel nachgeordneten Abnehmern sind. Das läßt beliebig in der Vertriebsdichte und der globalen Ausbreitung voranbringen – gestützt auf die Begeisterung für das Produkt und die finanziellen Anreize fürs eigene Einkaufen und gezielte weiterempfehlen. Im Internet kann das ohne eigene Logistik – wie bei den bekannten Auktionsplattformen – oder mit – wie bei den internetgestützten Versandhäusern – geschehen. Weltumspannende Schleichwege auf der Basis einer neuen Informationslogistik! Da muss sich der Gründer mit seiner web site nur so geschickt plazieren, daß „Googel“ ihn erwischt, und schon ist sein Angebot überall von Interessenten auffindbar. Jetzt muß nur noch erreicht werden, daß sich viele, die auch zahlen können und wollen, dafür interessieren und zuschlagen. Und da liegt wieder einmal der Haken: Wie hebt man sich aus der überquellenden Masse an Informationsangeboten heraus. Doch wieder mit speziellen Marketingmaßnahmen auf anderen Plattformen und Portalen oder gar in anderen Medien? Nun doch wieder gegen kräftige Bezahlung? Beißt sich da die digitale Katze in den Marketing-Schwanz? Ja und nein! Mit dem Aufspüren geschickter Schleichwege wird es auch in dieser Welt erfolgreich gehen – nur eben auf einer anderen Ebene – das macht die wahre „New Economy“ und nicht die Wertblase am – leider verschwundenen – Neuen Markt aus.
Weitere spannende Texte rund um die Arbeit von Prof. Szyperski finden sich u.a. unter:
www.sylter-runde.de
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